Die tschechische Hauptstadt Prag wurde am Dienstagnachmittag von
Hochwassermengen erfasst, die die "Jahrhundertflut" von 1890 übertrafen. Die
größte Flutwelle wird Oberbürgermeister Igor Nemec zufolge jedoch erst in
der Nacht auf Mittwoch erwartet. Es sei möglich, dass der Fluss dann 30 Mal
mehr Wasser führe als an normalen Tagen. Bereits am Mittag waren alle
Moldau-Inseln fast völlig überflutet. Tausende Feuerwehrmänner und
Freiwillige waren im Einsatz. In den meisten Stadtbezirken entlang des
Flusses fiel am Abend der Strom aus. Zehntausende Menschen wurden bereits
evakuiert, viele Strom- und Telefonleitungen funktionieren nicht mehr. Die
historische Altstadt wird nach den jüngsten Informationen des Krisenstabes
des Prager Magistrats vorerst nicht evakuiert. Bisher sind bei den
Überschwemmungen in Tschechien neun Menschen ums Leben gekommen.
Alle Zugverbindungen in Richtung Dresden und Berlin wurden vorerst
ausgesetzt. Im Eisenbahnnetz der Tschechischen Republik waren am Dienstag
insgesamt 23 Abschnitte außer Betrieb.
Ministerpräsident Vladimir Spidla hatte bereits am Montagabend das Kabinett
aus dem Urlaub zurückgerufen und Prag sowie alle vom Hochwasser betroffenen
Regionen in Böhmen bis zum 22. August zum Notstandsgebiet erklärt. Der
Notstand gilt für die Regionen Prag, Mittel, - und Südböhmen sowie die
Kreise Pilsen und Karlovy Vary/Karlsbad. Seit Dienstag auch für Usti nad
Labem. Das Kabinett beschloss am Dienstag den Einsatz von weiteren 1000
Soldaten, die der Polizei bei den Rettungsarbeiten helfen sollen. Präsident
Václav Havel wird wegen des katastrophalen Hochwassers seinen Urlaub in
Portugal vorzeitig beenden und am Mittwoch nach Prag zurückkehren. Dies habe
der Präsident beschlossen, nachdem er sich über die aktuelle Situation
informiert habe, teilte am Dienstag Präsidentensprecher Ladislav Spacek mit.
Vizekanzler und Außenminister Cyril Svoboda hat seinen für Dienstag
geplanten Besuch in der Slowakei wegen der gegenwärtigen Überschwemmungen
abgesagt. Der Besuch in Bratislava wäre die erste Auslandsreise des neuen
Ministers gewesen. Laut der Presseabteilung des Außenministeriums hat die
slowakische Seite mit dem Ausdruck des Verständnisses auf die Absage
reagiert. Erst am Montag hatte der slowakische Außenminister Kukan die
geplante Reise Svobodas als ein Zeichen der guten Nachbarschaftsbeziehungen
begrüßt.
Äußerst ernst ist die Hochwassersituation nach wie vor in Süd-, West- und
Nordböhmen. In der südböhmischen Stadt Ceské Budejovice/Budweis überstieg
das Wasser am Dienstagmorgen die Sandbarrieren, das historische Stadtzentrum
ist weitgehend überflutet. Im ganzen Kreis war die Armee im Einsatz. Mehrere
hundert Soldaten brachten die Bewohner von umspülten Ortschaften mit
Hubschraubern und Schlauchbooten in Sicherheit. Die Universität in Budweis
stellte zu diesem Zweck ihre Studentenwohnheime für Hochwasseropfer zur
Verfügung.
In der nordböhmischen Grenzregion zu soll der Pegelstand der Elbe an diesem
Mittwoch acht Meter erreichen. Wegen sperriger Geröllmassen mussten die
deutsch-tschechischen Grenzübergänge Zinnwald-Cínovec und
Deutscheinsiedel-Mnísek gesperrt werden. Viele Keller und Wohnungen in
Nordböhmen waren überschwemmt, Menschen aber nicht gefährdet. Wegen
Überschwemmungsgefahr wird die in Ústí nad Labem / Aussig ansässige
Chemiefirma Spolchemie ihre Produktion vorerst voraussichtlich völlig
einstellen. Die Firmenleitung geht davon aus, dass die notwendige Versorgung
mit Dampf und Kühlwasser unterbrochen werden wird. Außerdem könnte das
Hochwasser bis auf das Firmenareal selbst vordringen. Sämtliche Chemikalien,
die im Gefahrenbereich lagern, sollen jedoch laut Aussage des
Generaldirektors, Martin Procházka, vorsorglich abtransportiert werden.
Im westböhmischen Pilsen hat das Hochwasser am Dienstag den gesamten Verkehr
stillgelegt. Straßenbahnen und Trolleybusse waren außer Betrieb, der
Autobusersatzverkehr funktionierte nur in begrenztem Maße. Personenwagen
wurden umgeleitet, hunderte Menschen aus den Außenbezirken gingen zu Fuß ins
Stadtzentrum. Alle Stadtviertel in Flussnähe wurden überflutet.
Innenminister Stanislav Gross verglich die gegenwärtige Situation mit dem
verheerenden Hochwasser von 1997. Damals waren in Tschechien und Polen etwa
100 Menschen ertrunken. Tschechische Zeitungen schätzten den bisherigen
Schaden des jüngsten Hochwassers am Montag auf umgerechnet mehr als 32
Millionen Euro.
In der gesamten Tschechischen Republik sind im Zusammenhang mit dem
Hochwasser bis jetzt 1200 Soldaten im Einsatz, weitere stehen in
Bereitschaft. Aus dem Budget werden 1,1 Milliarden Kronen für
Rettungsarbeiten zur Verfügung gestellt. Die Europäische Kommission deutete
am Dienstag an, dass sie Möglichkeiten einer außerordentlichen Hilfe für die
Tschechische Republik erwäge.
Die tschechische Charitas sowie die Charitas in Ceske Budejovice/Budweis
haben am Dienstag öffentliche Sammlungen zugunsten von vom Hochwasser
Betroffenen ausgerufen.