Radio Slovakia International
Illustrationsgrafik: gubgib, FreeDigitalPhotos.net
Am 1. Januar 2013 sind genau 20 Jahre seit der Teilung der Tschechoslowakei vergangen. Aus ihr entstanden zwei selbstständige Republiken: die Tschechische und die Slowakische. Obwohl die gegenseitigen Kontakte auch weiterhing ziemlich eng und vor allem freundlich blieben, begannen sich nach der Trennung beide Länder unabhängig weiterzuentwickeln. Unter anderem verzeichnete auch die Wirtschaftsentwicklung Unterschiede. Im Jahre 1993 erreichte die Leistungsfähigkeit der slowakischen Wirtschaft (gemessen am BIP pro Einwohner in der Kaufkraftparität) nur etwa 60 Prozent der Leistungsfähigkeit der tschechischen Wirtschaft. Aus statistischer Sicht scheint es, dass die slowakische Wirtschaft nach der Trennung erfolgreicher war und sie begann, die tschechische schrittweise aufzuholen. Die Schere zwischen der Leistung der slowakischen und der tschechischen Wirtschaft schloss sich deutlicher - vor allem aufgrund des starken Wirtschaftswachstums in der Slowakei in den Jahren 2001 bis 2010, als das Land die am schnellsten wachsende Wirtschaft der EU war. Im Jahre 2011 erreichte die slowakische Wirtschaft 90 Prozent der tschechischen Leistungsfähigkeit, im Jahre 2012 laut Schätzungen der Europäischen Kommission sogar 94 Prozent. Im Durchschnitt stieg sie in den letzten 20 Jahren um 4,4 Prozent, in Tschechien um 2,8 Prozent.
Ľubomír Koršňák (Foto: Archiv UniCredit Bank Slovakia)
Den Erfolg verdankt die slowakische Wirtschaft unter anderem der relativ hohen Arbeitsproduktivität in Kombination mit verhältnismäßig niedrigen Arbeitskosten. Laut dem Chefökonom der UniCredit Bank Slovakia Ľubomír Koršňák stehen dahinter auch andere Faktoren:
„Den höchsten Fortschritt hat das Aufholen in den Jahren 2003 bis 2008 bedeutet, als ausländische Investitionen ins Land gekommen sind. Es wurden damals Reformen eingeführt, die die Wirtschaft angekurbelt und die Investoren angelockt haben“.
Investoren zeigten ähnliches Interesse an Tschechien. Laut Ľubomír Koršňák erschienen sie dort jedoch stufenweise in einem längeren Zeitraum:
„In die Slowakei sind die meisten Investoren erst in diesem Jahrtausend gekommen. Dies hatte ein schnelleres Wirtschaftswachstum in der letzten Dekade zur Folge“.
Ein anderer Faktor, der zur Wirtschaftsentwicklung beider Länder beitrug, war die Aufnahme in die europäische Gemeinschaft.
„Der Beitritt zur Europäischen Union hat beide Länder in den Augen der ausländischen Investoren attraktiver gemacht. Ein großer Teil der Investitionen in diesen Ländern ist vor allem für den Export in die EU-Länder bestimmt. Wenn man die Offenheit der slowakischen Wirtschaft betrachtet, also die Summe von Export und Import mit dem BIP vergleicht, kann man sehen, dass die Offenheit im Jahre 1993 etwa 120 Prozent erreicht hat. Zurzeit sind es beinahe 190 Prozent und die Slowakei ist eine der am offensten Wirtschaften der Welt. Da der entscheidende Teil des slowakischen Exports für den EU-Markt bestimmt ist, hat der Beitritt des Landes zur EU markant geholfen“.
Ein weiterer Meilenstein in der Wirtschaftsentwicklung der Slowakei war die Euroeinführung im Jahre 2009. Ľubomír Koršňák zufolge entwickelten sich beide Wirtschaften bis zu diesem Datum sehr ähnlich, die Einführung der neuen Währung habe kleine Unterschiede vertieft.
„Im Jahre 2009, als die Slowakei den Euro eingeführt hat, ist in Europa zugleich die Wirtschafts- und Finanzkrise ausgebrochen. Damals begannen sich die Wirtschaften der Nachbarländer Slowakei und Tschechien ein bisschen anders zu entwickeln. Die Slowakische Republik konnte ihre Konkurrenzfähigkeit nicht mehr durch eine Schwächung der heimischen Währung erhöhen. Somit wurde in einem großen Maße Druck auf heimische Unternehmer ausgeübt, die Arbeitsproduktivität zu erhöhen. Darum ist die Arbeitsproduktivität in der Slowakei auch während der Krise gewachsen, wobei das Wachstum von Arbeitskosten kontrolliert war. In der Tschechischen Republik war das Wachstum der Arbeitsproduktivität mit einem relativ hohen Wachstum von Arbeitskosten verbunden. Sie konnten es sich leisten, indem sie ihre heimische Währung geschwächt haben“.
Arbeitsamt (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Dies war laut Ľubomír Koršňák einer der Hauptfaktoren, die dazu beitrugen, dass die slowakische Wirtschaft die tschechische aufzuholen begann. Die Arbeitsproduktivität stieg auch mit den steigenden ausländischen Investitionen - was dann wiederum neue Investoren anlockte.
Einer der Indikatoren, die etwas über den Zustand der Wirtschaft im Land aussagen, ist die Arbeitslosigkeit. Die Tschechische Republik war lange dadurch bekannt, dass sie eine niedrige Arbeitslosenrate hat. Im Jahre 1993, als es zur Teilung der Föderation kam, waren in der Slowakei etwa doppelt so viele Menschen arbeitslos als in der Tschechischen Republik. Bei der Einführung der Reformen an der Jahrtausendwende stieg die Arbeitslosigkeit auf etwa 20 Prozent und bis heute ist sie ungefähr zweimal höher als die in Tschechien.
Foto: Filip Jandourek, Archiv des Tschechischen Rundfunks
„Das einzige Mal, als auf dem Arbeitsmarkt in einigen Branchen ein Mangel an Arbeitskraft verzeichnet wurde, war unmittelbar vor dem Ausbruch der Wirtschaftskrise im Jahre 2008. Damals ist die Arbeitslosigkeit unter zehn Prozent gesunken. Sie lag bei rund acht Prozent. Manche Firmen mangelte es damals an Arbeitskräften, was einen Druck auf die Lohnerhöhung geschaffen hat. Die Slowakei hat schon langfristig ein Problem mit der Langzeitarbeitslosigkeit. Bis dieses Problem nicht gelöst wird, bleibt die Arbeitslosenrate höher als in der Tschechischen Republik“.
Für die Einwohner beider Länder sind bei der Beurteilung der Wirtschaftsentwicklung sicher das Wachstum der Gehälter und die Entwicklung der Preise von großer Bedeutung. Welche Unterschiede wurden dabei in der Slowakei und in Tschechien seit der Trennung des gemeinsamen Staates verzeichnet?
Foto: Slowakisches Fernsehen
„In der Slowakei sind die Preise in diesem Zeitabschnitt etwas schneller als in der Tschechischen Republik gewachsen. Am Anfang wurde dies dadurch verursacht, dass die slowakische Währung im Vergleich mit der tschechischen geschwächt wurde. Wenn es in Euro gemessen worden wäre, wären die Preise nicht deutlich anders gewesen“.
Sehen wir uns nun die Struktur der Wirtschaft in der Slowakei und in Tschechien an. Die Slowakei ist dafür bekannt, dass an ihrem BIP gerade die Automobilindustrie eine entscheidende Rolle spielt. Wie sieht es in der Tschechischen Republik aus?
Foto: Archiv Radio Prag
„Was die Struktur der Industrie anbelangt, gibt es keine großen Unterschiede zwischen der slowakischen und tschechischen Wirtschaft. Die Automobilindustrie ist auch in der Tschechischen Republik stark vertreten. Auch die Struktur aus Sicht des Anteils der Industrie und den Dienstleistungen an der Gesamtwirtschaft ist in diesen zwei Ländern sehr ähnlich“.
Und zum Schluss widmen wir unsere Aufmerksamkeit noch der wirtschaftlichen Zusammenarbeit beider Länder. Wie haben sich die Wirtschaftsbeziehungen?
„Die Tschechische Republik ist noch immer der zweitbedeutendste Markt für die Produkte slowakischer Firmen. Der gegenseitige Handel wird nach wie vor aktiv gepflegt und die wirtschaftliche Interaktion ist weiterhin relativ hoch. Angesichts der geographischen Nähe und langer historischer Verbindungen setze ich voraus, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder auf einem überdurchschnittlichen Niveau auch in der Zukunft bleibt“.
Und was meinen Sie, wie werden sich beide Wirtschaften in der nächsten Zukunft entwickeln? Halten Sie es für real, dass die Slowakei dasselbe Niveau erreicht, wie das Nachbarland, was die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit betrifft?
Foto: Archiv Radio Prag
„Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich im Laufe der nächsten Jahre die slowakische Wirtschaft der tschechischen noch enger annähern wird. Es wird davon abhängen, wie der Reformprozess in Tschechien und in der Slowakei verlaufen wird. Wenn mit den Reformen fortgesetzt wird, ist es realistisch, dass die slowakische Wirtschaft einmal die tschechische aufholen könnte“.